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Quelle: Jeversches Wochenblatt
/ 04.11.2010

Boßler sorgen in Berlin für leichtes Aufsehen
Pockholzkugel rollt über die Landebahn
auf dem Flughafen Tempelhof
200 Friesensportler in der Hauptstadt
Friesland/Berlin
- Großer Andrang für die Fahrt bereits im April. Betriebs und
Freizeitsportverband Küste organisierte die Fahrt.„Die Berliner nehmen
das Boßeln hin”, stellten Gerold Ihnken und Hajo Janssen, beide Lehrer
am Oberstufenzentrum für Banken und Versicherungen, vor über 20 Jahren
zufrieden fest, als sie im Spandauer Forst auf einem britischen
Grenzsicherungsweg ihrem aus der Heimat vertrauten Sport erstmals
nachgingen. Einst wies sie sogar ein DDR-Grenzsoldat von seinem Wachturm
aus darauf hin, wo ihnen ihre Kugel abhanden gekommen war, und nach wie
vor werfen einige Berliner die Kugeln zurück. Ihnken, im Waldschlösschen
Addernhausen aufgewachsen, und der Carolinensieler Janssen, der
demnächst der Ruhe wegen in die alte Heimat zurückkehren möchte,
überzeugten inzwischen 40 Kollegen vom Friesensport und nehmen
regelmäßig an den großen Boßelveranstaltungen des Betriebs- und
Freizeitsportverbandes (BFSV) Küste teil. Eine große Freude war es für
die beiden, nun etwa 160 Mitglieder, Freunde und Förderer des BFSV sowie
Boßelverbandsfunktionäre auf dem seit zwei Jahren stillgelegten
Flughafen Tempelhof begrüßen zu können, wo die Berliner alles
organisiert hatten und zur Begrüßung die „Berliner Luft“ erklang. Im
multikulturellen Berlin gehören künftig Ausdrücke wie “Free weg“ oder „Lat’n
rulln“ zum Wortschatz. Janssen und Ihnken sind aber nicht die einzigen
Berliner Bekanntschaften des BFSV-Vorsitzenden Johann Michels-Lübben,
dessen Engagement hoch geschätzt wird. Der Jeveraner begrüßte auch
sieben Mitglieder des 1926 gegründeten Ostfriesenvereins Berlin mit
ihrer stellvertretenden Vorsitzenden Elvira Neunaber, die von September
bis Mai 14-tätig auf Tempelhof ihrem Sport nachgehen, und eine
sechsköpfige Gruppe der Landesvertretung Niedersachsens, angeführt vom
Exil-Norddeicher und Dienststellenleiter Dr. Ole Janssen, der zu
Weihnachten in der alten Heimat mit Schulfreunden boßelt. Die
Hauptstadtpresse beschränkte sich jedoch weitestgehend auf das Hinnehmen
des Boßelereignisses, das mit einem symbolischen Anwurf vor dem
Brandenburger Tor begann und bei traumhaftem Wetter alle begeisterte.
Eine junge Berlinerin blieb stehen und fragte, ob sie die Kugel einmal
anheben dürfte, ansonsten nahmen die Passanten auf dem Flugfeld, die mit
Lenkdrachen und Hunden unterwegs waren, mit großstädtischer Gelassenheit
die für sie unbekannte Sportart zur Kenntnis. Den meisten Spielern der
21 Mannschaften ging es um das pure Vergnügen. Einige Vereinsboßler wie
der Wiefelser Johann Janssen vom dortigen Klootschießer- und Boßelverein
„Free weg“, Andrea Hinrichs von „Fleu herut“ Neustadtgödens oder Fritz
Schimmelpenning aus Schweinebrück, letztere beide in Trainingsanzügen
und Sportschuhen, zeigten den Amateuren, was ein richtiger Wurf aus dem
Oberkörper heraus ist. Allen Teilnehmern machte der sonnige
Herbstnachmittag viel Spaß. Ebenfalls angereist waren vier Vorständler
des Elternvereins für krebskranke Kinder und ihre Familien
Friesland/Wilhelmshaven/Harlingerland, Vertreter der Volksbank Jever und
des Friesischen Brauhauses. Einen weiten Weg hatten die 17 Boßler aus
Wehrbleck in der Grafschaft Diepholz. Sie hatten den Sport vor 30 Jahren
vom Buten-Ostfriesen Dirk Ommen aus Neuwesteel gelernt und treffen sich
jeden Sonntag zum Sport. Die Reise lohnte sich für sie, denn die Gäste
aus Wehrbleck erreichten den vierten Platz (30 Schoet/zwölf Trä). Und
als ob das Boßeln damit noch nicht weit genug verbreitet wäre, waren
auch elf „Treppenterrier“ aus Bockenem dabei, die zu Hause in der
Feldmark ebenfalls regelmäßig die Pockholzkugel rollen lassen.
Michels-Lübben war die Begeisterung anzusehen, den Friesensport mit über
200 Personen in Berlin zu vertreten, und wünschte sich, dass sich
bayerische Fingerhakler daran ein Beispiel nähmen. Gewonnen hat
schließlich die Gruppe Friesland 16 um Andreas Eilers mit 28 Schoet und
66 Trä, den zweiten Platz errang Friesland 21 mit Arnold Frerichs
(28/55), Dritte wurde Friesland 20, angeführt vom „Bären von Ellens“,
Hans-Georg Bohlken (29/25). Schon im April gab es für die Fahrt ein
großen Andrang, so dass ein dritter Bus gebucht wurde. Die Reisenden
genossen nicht nur das dreistündige Boßeln zwischen Lenkdrachen und
Hundeauslauf auf der breiten, aber unebenen Fläche. Sie bestaunten auch
den Blick von der Reichstagskuppel auf die unendliche Stadtlandschaft
und die Ausbaupläne der Hauptstadt anhand eines Modells der
Bauverwaltung. Nach einem bedrückenden Rundgang durch das
Staatssicherheitsgefängnis Hohenschönhausen und einem Stopp auf einem
Kürbishof zwischen Potsdam und Brandenburg ging es in die Heimat zurück.
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/ Quelle: NWZ-Online / 01.11.2010

Holzkugeln rollen auf dem Tempelhof
Friesensport
Boßeltour des Betriebs- und Freizeitsportverbands Küste mit 150
Teilnehmern in Berlin
Symbolischer Anwurf des
Freundschafts-Wettkampfs direkt unter dem Brandenburger Tor.
Geboßelt wurde auf dem stillgelegten
Flughafen Tempelhof.
von Melanie Hanz
Jever
- Ungewöhnlicher Anblick auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof in
Berlin: Fast 200 Frauen und Männer, die strammen Schrittes über das
Rollfeld marschieren und mit Holzkugeln werfen. „Hier mut he hin“ oder „Dat
löpt noch“ tönt es, wenn die Kugeln rollen. Immer wieder bleiben
Spaziergänger stehen, beobachten das Treiben und wundern sich. „Da haben
wir ja auch Käkler und Mäkler“, freut sich dagegen Johann Janssen vom
Klootschießer- und Boßelverein „Free weg“ Wiefels. „Bär von Ellens“
boßelt mit. Er ist dem Aufruf des Betriebs- und
Freizeitsportverbands Küste (BFSV) gefolgt und zum „Boßeln in die
Bundeshauptstadt“ gefahren. Mit drei Bussen reisten die Friesen am
Freitag nach Berlin, um dort ihre Sportart bekannter zu machen:
Vertreter der drei Boßel-Kreisverbände Jeverland, Waterkant und
Friesische Wehde, Boßelgruppen des BFSV (von Landkreis Friesland,
Friesischem Brauhaus, Technische Bau Dienstleistungen Friedeburg, Brötje
in Rastede und Premium Aerotec Varel), außerdem Vertreter von
Boßelvereinen in Friesland und die „Treppenterrier“ aus dem Nordharz als
mit dem BFSV befreundeter Verein. Auch Weltmeister Hans-Georg Bohlken,
der „Bär von Ellens“, boßelte mit – sehr zur Freude der Berliner Boßler.
Als Sponsoren mit von der Partie waren die Volksbank-Vorstände Michael
Engelbrecht und Gerd Köhn und für das Brauhaus Dieter Jurettko und
Jevers ehemaliger Bräu Günter Schmöckel. Schon zuvor hatten die Boßler
für Aufsehen gesorgt: Direkt unter dem Brandenburger Tor hatten sie sich
getroffen und den symbolischen Anwurf gemacht, bevor es nach Tempelhof
auf die Strecke ging. „Der Andrang auf die Boßeltour in Berlin war
riesig“, freut sich Johann Michels-Lübben, Vorsitzender des BFSV Küste.
Er hatte im vergangenen Jahr bei einem Treffen mit dem Berliner
Buten-Ostfriesen Hajo Janssen die Idee zu der Boßeltour in der
Hauptstadt. Daraus entwickelte sich schnell ein Riesen-Unternehmen: 151
Boßler reisten aus Friesland an, die Boßler vom Oberstufenzentrum
(Berufsbildende Schulen) Banken und Versicherungen Berlin, dessen
Schulleiter Gerold Ihnken den Friesensport gemeinsam mit Kollege Hajo
Janssen dort pflegt, sorgten als Streckenwarte für Sicherheit, der
Ostfriesenverein Berlin und die Landesvertretung Niedersachsen stellten
ebenfalls Mannschaften. Am Samstagnachmittag gingen so fast 200 Personen
auf die fünf Kilometer lange Strecke auf dem Rollfeld des Flughafens.
Auf dem Flughafen Tempelhof wird zwar im Winter auch regelmäßig
geboßelt, die Hausstrecke der Berliner Boßler liegt aber in Spandau,
berichtet Horst Fellenberg, Ehemaliger des Oberstufenzentrums und
gebürtig aus Münster. Fellenberg kam über seinen Schwiegervater in
Nienburg vor 25 Jahren zum Boßeln und pflegt den Friesensport in der
Hauptstadt. Hausstrecke an Mauer. In Spandau führt ein
stillgelegter Mauersicherungsweg der Briten gut sechs Kilometer durch
die Landschaft – das Ende markiert ein Hochstand, auf dem die Berliner
Boßler Pause machen und den Blick genießen können. „Die Augen immer nach
hinten – Boßeln ist ein gefährlicher Sport“, warnt Fellenberg die
Zuschauer auf dem Rollfeld, bevor er die Mannschaften auf die Strecke
schickt. Und dann knallt die erste Holzkugel aufs Pflaster: Wangerooges
Bürgermeister Holger Kohls macht den Anwurf, der Freundschafts-Wettkampf
zwischen Friesen, Buten-Ostfriesen, Berlinern und Niedersachsen ist
gestartet. „Doch, boßeln macht schon Spaß“, sagt hinterher Rüdiger
Jacobs aus der Mannschaft der Landesvertretung. Er stammt aus dem Raum
Braunschweig – geboßelt hat er an diesem Tag zum ersten Mal. „Mal sehen,
vielleicht wird Boßeln noch unser neuer Betriebssport“, meint er und
lacht. Da in der Landesvertretung die Friesen und Ostfriesen in der
Unterzahl sind, hat die sechsköpfige Mannschaft zuvor heimlich im
Tiergarten geübt. „Plötzlich kam ein großer Hund angesprungen und
schnappte uns die Kugel weg“, erzählt Jacobs. „Immerhin sind wir direkt
zweiter hinter dem Ostfriesenverein geworden – im direkten Vergleich“,
sagt er schmunzelnd. Am Ende des Tages hatte die Mannschaft von Premium
Aerotec aus Varel die Nase vorn und durfte neben einer Goldmedaille ein
Modell des Brandenburger Tors in Empfang nehmen. Natürlich wurde die
ungewöhnliche Boßeltour auch zünftig gefeiert – „Berlin ist eben immer
eine Reise wert“, lautete das Resümee von Organisator Johann
Michels-Lübben. |